Eine Welt zwischen Überfluss und absolutem Mangel

Wie die Lebensmittelverschwendung mit dem Hunger zusammenhängt

Teil 1 von 6

Dies ist der erste Leitartikel unseres Newsletters. In den kommenden Monaten widmen wir uns ganz dem Thema „Lebensmittel-verschwendung“. Eine Serie bestehend aus insgesamt 6 Teilen soll Aufschluss zwischen dem Überkonsum der Industrieländer und dem Leid vieler Menschen in Entwicklungsländern geben.

 

Über 800 Millionen Menschen hungern weltweit, über 2 Millionen Menschen sind mangelernährt, gleichzeitig ist jeder 3. Mensch zu dick und 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel werden jedes Jahr weggeworfen. Wie kann das sein?

Dieser Beitrag versucht einen vorsichtigen Zusammenhang aufzustellen, zwischen der Ausbeutung und der Armut vieler Menschen einerseits sowie dem Überfluss in den Industrieländern auf der anderen Seite.

Es bleibt zu betonen, dass unsere Welt sehr komplex ist und natürlich nicht nur die Lebensmittelverschwendung Schuld am Hunger hat – Kriege, Konflikte, Naturkatastrophen, Korruption, Misswirtschaften, Diktaturen und andere Variable beeinflussen die Fehlverteilungen in einzelnen Staaten genauso.

Als Kind hört man so oft: „Iss deinen Teller auf, in Afrika verhungern täglich Kinder“. Doch hängt dies wirklich miteinander zusammen? Lebensmittel wegzuschmeißen, hat natürlich nicht direkt – sehr wohl aber indirekt – Auswirkungen auf andere Menschen. Doch warum?

In den nächsten Ausgaben gehen wir vor allem der Lebensmittelverschwendung, aber auch dem spannenden Zusammenhang zwischen Hunger und der Verschwendung entlang der „Food Chain“ – der Lebensmittelkette – auf die Spur.

 

Zahlen und Fakten

Jedes Jahr werfen wir ca. ein Drittel (in Industrieländern teilweise sogar 50%) der für den menschlichen Konsum produzierten Waren weg. Summiert ergibt das ca. 1,3 Mrd. Tonnen an Lebensmittel jährlich. Hauptsächlich wandern Obst, Gemüse, Wurzeln und Knollengewächse in den Müll – nämlich 40-50%. Der Anteil des produzierten Getreides, das entsorgt wird, liegt bei 30%, der Anteil aller weggeworfenen Ölsamen liegt bei 20% und von Fisch, Fleisch und Milchprodukten wird jeweils ein Drittel weggeworfen. In Deutschland sind das insgesamt ungefähr 11 Millionen Tonnen jedes Jahr. Berechnungen haben ergeben, dass ca. 61% davon aus Privathaushalten stammen und 17% von Großverbrauchern, wie Gaststätten, Schulen, Kantinen oder der Industrie.

Insgesamt könnten von allen produzierten Lebensmitteln derzeit 12 Milliarden Menschen satt werden, auch wenn nur 7 Milliarden Menschen derzeit auf unserer Welt leben und ca. 1 Milliarde – also jeder 7. Mensch – an Hunger leidet.

Alle 3 Sekunden stirbt ein Mensch aufgrund von Hunger.

Erstaunlich ist, dass Industrie- und Entwicklungsländer in etwa die gleiche Menge an Nahrungsmitteln wegwerfen, nämlich zwischen 670 Mio. Tonnen (Industrieländer) und 630 Mio. Tonnen (Entwicklungsländer), der Gesamtschaden dieser Verschwendung unterscheidet sich jedoch beträchtlich: US$ 680 Mrd. für Industrieländer und US$ 310 Mrd. in Entwicklungsländern. Die Gründe dieser Verschwendung unterscheiden sich jedoch erheblich voneinander (s. 2. Teil Artikel).

Die Verschwendungsrate pro Kopf unterscheidet sich in Europa und Nord Amerika massiv zu Ländern, wie Sub-Sahara Afrika, Süd- und Südost-Asien: Liegt sie bei uns zwischen 95 und 115 kg pro Jahr, werfen die Menschen in armen Ländern nur 6-11 kg pro Jahr pro Kopf weg. In Deutschland werden pro Person ca. 82 kg Lebensmittel weggeworfen, was ca. 313 Euro pro Jahr ausmacht. Der Resterechner zeigt hier genau auf, welches Ausmaß in Bezug zu Geld und Energie die Verschwendung einzelner Lebensmittel annimmt.

Auch die Menge an produzierten Lebensmitteln unterscheidet sich massiv zueinander: So werfen die Industrieländer fast so viel weg – nämlich 222 Millionen Tonnen – wie in ganz Sub-Sahara Afrika produziert wird (230 Mio t).

Dabei sind 65% aller Lebensmittelabfälle vermeidbar: Laut einer Forsa-Umfrage des Bundesverbraucherministeriums werfen 84% der Deutschen Lebensmittel weg, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, auch wenn die Ware noch einwandfrei ist; 19% der Befragten nennen als Hauptgrund zu große Verpackungsgrößen und 16% weil es nicht mehr schmeckt, weil man keinen Appetit mehr drauf hat oder die Lebensmittel einfach zu lange im Kühlschrank standen. 25% der Deutschen haben einfach zu viel eingekauft, bspw. aufgrund von Sonderangeboten oder falscher Planung.

Dem gegenüber stehen knapp 1 Milliarde Menschen, die jeden Tag hungrig zu Bett gehen – jeder 7. Mensch.

Jeden Tag sterben 25.000 Menschen an Hunger, 90% davon sind Kinder. 2,4 Milliarden Menschen, also ca. 1 Drittel aller Menschen, leben für weniger als US$ 2 Dollar pro Tag, was bedeutet, dass sie 70-80% ihrer Einnahmen für Lebensmittel ausgeben. Der Europäer investiert ca. 10-12% in die Aufnahme von Nahrung. Volatile Weltmarktpreise, extreme Wetterbedingungen, schlechte Ernteerträge, Abhängigkeiten von Großkonzernen, schlechte Bildung usw. führen dazu, dass pro Minute 170 Menschen in die totale Armut abstürzen.

So viel zu den reinen Fakten. Ein Großteil unserer Lebensmittel umrundet weite Teil der Welt und durchgeht unterschiedliche Prozessschritte, bevor wir sie in unseren Supermärkten finden. Doch wo genau entstehen welche Mengen an Lebensmittelverschwendung und warum? Um diese Frage beantworten zu können, muss man die sog. Food Chain betrachten:

Die Food Chain

Die Food Chain bzw. Lebensmittelkette stellt den Weg der Lebensmittel vom Anbau bis zum Endverbraucher da. Die 1,3 Milliarden Tonnen an weggeworfenen Lebensmitteln teilen sich wie folgt auf: Im Anbau fällt der größte Teil an entsorgten Nahrungsmitteln an: 400-500 Millionen Tonnen. In sämtlichen Nach-Ernte Prozessen, wie bspw. der Lagerung entstehen 300-350 Millionen Tonnen an verschwendeten Nahrungsmitteln. Die weiterverarbeitende Industrie verbucht Verschwendung von 150-180 Millionen Tonnen, auf das Konto des Einzelhandels bzw. der Distributionsprozesse gehen 150-200 Millionen Tonnen und der Verbraucher wirft noch einmal 300-350 Millionen Tonnen weg.

In den nächsten Ausgaben unseres Newsletters werden wir auf die einzelnen Schritte der Food Chain eingehen, an einzelnen Beispielen darlegen, wie die Verschwendung direkt mit dem Leid vieler Menschen zusammenhängt und aufzeigen, wo und wie wir helfen können, die Verschwendung zu reduzieren.

ShoutOutLoud engagiert sich mit dem Programm „Kein Essen für die Tonne“ mit unterschiedlichen Aktionen, mehr Bewusstsein für das Thema in der Bevölkerung zu schaffen. Ihr wollt mehr Infos über unsere Projekte? Dann schaut auf „ShoutOutLoud – Kein Essen für die Tonne“ vorbei.  Und wenn ihr selbst aktiv werden wollt, Tipps und Ideen für uns habt oder einfach Feedback geben wollt, schreibt uns: info@shoutoutloud.eu – wir freuen uns auf eure Post.

Quellen:

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: http://www.bmelv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2011/176-KL-WertschaetzungVonLebensmitteln.html

Worldbank.org: https://www.youtube.com/watch?v=nxJEwC38Wsc

FAO: http://www.fao.org/save-food/key-findings/en/

Resterechner: http://resterechner.de/

Global Issues: http://www.globalissues.org/article/26/poverty-facts-and-stats

Posted on 11. November 2014 in Newsletter Leitartikel

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Anna-Mara Schön

About the Author

Initiatorin & Mitgründerin von SOL. 1985 in Hessen geboren, Master in Supply Chain Management, derzeit Promotionsstudentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Fulda im Bereich Humanitäre Logistik am HOLM - House of Logistics and Mobility in Frankfurt. Motivation: Es gibt zu viele Probleme auf der Welt, um wegzuschauen oder sich einfach immer nur darüber zu beschweren. Wenn man mit einer Situation nicht zufrieden ist, muss man aufstehen und sie ändern!
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