Lebensmittelverschwendung war lange ein chronisch unbeachtetes Thema, doch nun bekommt es endlich die öffentliche Aufmerksamkeit, die es verdient. Wo die Politik ernsthaftes Durchgreifen vermissen lässt, packt eine Generation junger Menschen selbst an und entwickelt innovative Lösungen.
Anfang Januar rügte der Europäische Rechnungshof in einem Bericht die EU, sie trüge nicht durch eine wirksame Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung zu einer ressourcensparenden Lebensmittelversorgungskette bei. Vor wenigen Tagen dann stimmte der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments dafür, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Ein Schritt in die richtige Richtung? Ja. Aber leider ohne die nötige Verbindlichkeit. Und so sucht man weiterhin vergeblich nach einer EU-Norm für dieses so unterschätzte Problem. Doch mal der Reihe nach.
Unglaublich, aber wahr: Laut einer Studie des WWF landen allein in Deutschland pro Sekunde 313 Kilogramm Lebensmittel in der Tonne – ein Großteil davon noch genießbar, und deshalb vermeidbar. Diese Zahl summiert sich auf das Jahr gesehen auf über 10 Millionen Tonnen. Insgesamt entspricht dies einem Drittel des deutschen Nahrungsmittelverbrauchs.
Doch die Ressourcenverschwendung hört hier noch lange nicht auf. So nutzen wir in Deutschland eine landwirtschaftliche Fläche in etwa der Größe des Staates Ruanda, um Lebensmittel anzubauen, die nach der Ernte sowieso weggeschmissen werden. Ironischerweise wirken diese 2,6 Millionen Hektar im globalen Vergleich geradezu überschaubar – die weltweite Lebensmittelverschwendung von 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr braucht für ihren Anbau knapp 200 Millionen Hektar, und damit die Fläche Mexikos. Auch erschaffen wir mit den weltweit jährlich 3,3 Milliarden Tonnen an Treibhausgasemmissionen künstlich den drittgrößten Emitttenten nach China und den USA.
Ob UN-Nachhatigkeitsziele, EU-Aktionspläne oder Initiativen auf nationalstaatlicher Ebene – politische Willensbekundungen dürfen wir in Anbetracht dieser ungeheuren Verschwendung immer häufiger vernehmen. Was jedoch oft fehlt ist die gesetzliche Verbindlichkeit. Immerhin Frankreich und Italien sind einen Schritt weiter gegangen und haben kürzlich Gesetze erlassen, um die Lebensmittelverschwendung in den Griff zu bekommen.
Allzu oft muss man sich deshalb fragen, was diese Abkommen eigentlich bewirken. Ändert es wirklich etwas daran, wie wir mit unseren Lebensmitteln umgehen? Oder sind es am Ende doch nur Lippenbekenntnisse, um bei der nächsten Wahl besser da zu stehen? Bekommen wir so tatsächlich das aus dem Ruder gelaufene System in den Griff, welches nicht nur Lebensmittel, sondern eben auch Energie, Wasser und Land in rauen Mengen verschwendet?
Diese Fragen stellt sich zunehmend meine Generation, die sogenannte Generation Y – oder wie auch immer man uns nennen mag. Doch anstatt auf entsprechende Abkommen, Gesetze oder gar Unternehmensallianzen zu warten, packen wir selbst an – und machen so den Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung zu einem zentralen Lebensinhalt. Und nein, das meine ich nicht übertrieben. Ich spüre tatsächlich – in allen Gesprächen, die ich zu diesem Thema führe – eine ungemein feste innere Überzeugung, die sagt: Das muss nicht sein. Und wir können das ändern!
“Teile Lebensmittel, anstatt sie wegzuwerfen” heißt es beispielsweise bei Foodsharing, einer Plattform mit mehr als 23.000 Mitgliedern. Sie gibt Lebensmittelhändlern, Privatpersonen und Produzenten die Möglichkeit, überschüssige Lebensmittel kostenlos anzubieten oder abzuholen.
Weiter vorne in der Wertschöpfungskette setzt das Münchner Startup Etepetete an. Durch Kooperationen mit Bio-Bauern hat man ein „Auffangbecken“ für extravagant aussehendes Gemüse geschaffen. Diese werden in Form einer Gemüseretter-Kiste frisch vom Feld vor die Haustüren in ganz Deutschland verschickt.
An der gleichen Stelle setzt auch die Berlin-München-Kombination Querfeld an. Normalerweise aussortiertes Obst und Gemüse wird direkt vom Erzeuger bezogen, um es wieder salonfähig zu machen und die Vielfalt der Natur auf die Teller zu bringen. “Denn Geschmack ist keine Frage des Aussehens.”
Auch gibt es mit dem Restlos Glücklich in Berlin das erste Restaurant gegen die Lebensmittelverschwendung in Deutschland. Mit dem Ziel, Lebensmittel wiede mehr wert zu schätzen, bietet das kleine Lokal neben dem famos leckeren Tagesbetrieb auch Bildungsprojekte und Kochkurse an.
“Jede Frucht ist schön” meinen die Macher vom Dörrwerk, der Berliner Manufaktur für Snacks aus gerettetem Obst. Früchte, die aufgrund optischer Mängel nicht verkauft werden, obwohl sie noch hervorragend schmecken, werden einfach zu Fruchtpapier weiterverarbeitet.
Dass der Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung auch in Zeiten des digitalen Wandels funktioniert, zeigt MealSaver. Mithilfe einer App können Restaurants und Geschäfte am Ende des Tages übrig gebliebene Speisen Nutzern der App billiger anbieten. Berlin und Hamburg sind schon dabei – weitere Städte sollen folgen.
The Good Food aus Köln haben ein Ladenkonzept entworfen, wo man neben abgelaufenen Lebensmitteln wie eingelegtem und eingewecktem Gemüse oder Trockenware auch frisches, aber zu kleines, krummes oder außergewöhnliches Obst und Gemüse findet. Das Konzept funktioniert, und das auch noch zum attraktiven „Zahl‘, was es dir wert ist – Preis“.
Und, und, und… Das Gute an all diesen Beispielen ist, dass sie einem Problem wie der Lebensmittelverschwendung mit Lösungen begegnen, die Spaß machen. Es geht in keinem Fall um Verzicht, sondern stets um Genuss. Und das ist letztlich auch der Anspruch, welchen ich bei meinem aktuellen Herzensprojekt Resteküche – Beste Küche verfolge. Im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne versuche ich gemeinsam mit Freunden den deutschlandweit ersten Foodtruck Realität werden zu lassen, der hauptsächlich mit geretteten Bio-Lebensmitteln kocht. Wir nennen das Ganze eine verheißungsvolle Kombination aus Streetfood, Achtsamkeit und kulturellem Austausch.
Natürlich befinden sich all diese Initiativen am Endes des Tages in einem gesetzlichen Rahmen, den es zu achten gilt. Doch solange dieser es noch nicht vermag, die Lebensmittelverschwendung als ernsthaftes Problem anzusehen und dementsprechend anzugehen, solange freue ich mich, wenn ich wieder mal jemanden kennenlerne, der einfach selbst anpackt. Und erstaunlicherweise ist dieser Jemand dann mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit aus meiner Generation.
Dieser Artikel ist auch in der Huffington Post, auf The Changer und UmweltDialog erschienen
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