Eine Welt zwischen Überfluss und absolutem Mangel – Teil 3

Wie die Lebensmittelverschwendung mit dem Hunger zusammenhängt

 

Dies ist Teil 3 unserer 6-teiligen Serie zum Thema Lebensmittelverschwendung. Die Serie soll Aufschluss zwischen dem Überkonsum der Industrieländer und dem Leid vieler Menschen in Entwicklungsländern geben.

Ihr habt den ersten und/oder zweiten Teil verpasst? Hier könnt ihr Teil 1 und hier  könnt ihr Teil 2 nachlesen.

In diesem Artikel (Teil 3) wird erläutert, warum auch die Entwicklungsländer einen so beträchtlichen Teil zur Gesamtverschwendung von Lebensmitteln beitragen.

 

Von der Ernte bis zum Supermarktregal – wo und warum Lebensmittel entlang der Supply Chain verderben und verschwendet werden

Die UN unterscheidet zwischen Food Loss (Verlust) und Food Waste (Verschwendung). Food Loss entsteht, wenn Lebensmittel beispielweise nicht richtig gelagert oder falsch transportiert werden. Food Waste entsteht, wenn Lebensmittel aussortiert und/oder weggeworfen werden, weil sie nicht gefallen oder nicht schmecken u.a.

Food Loss

Food Losses, welche vor allem während der Ernte, der Nachernte und den nachgelagerten Prozessen, wie Lagerung und Transport entstehen, sind besonders ein Problem in Entwicklungsländern. Fehlende Infrastruktur, schlechte Temperaturführung, geringes technologisches Niveau in der Logistik und ein zu geringes Investment in eine richtige Lebensmittel-Distribution, vor allem in Bezug zur Einhaltung der Kühlketten, tragen massiv dazu bei, dass Lebensmittel verderben.

Die Postharvest Education Foundation hat verschiedene Schlüsselfaktoren zum Thema Verlust von Lebensmitteln (Food Loss) identifiziert: Zum einen haben viele Menschen, die mit Lebensmitteln arbeiten, nicht das nötige Wissen über Ernteindikatoren von Lebensmittelpflanzen und dem Zusammenhang zwischen Reifegrad und Qualität/Haltbarkeit von Lebensmitteln. Solche Fakten werden nicht bei der Vorsortierung und der Einstufung in Qualitätsklassen für den Markt berücksichtigt, was dazu führt, dass beschädigte und verfaulte Lebensmittel in die Food Chain gebracht werden – mit negativen Auswirkungen auf gesunde Lebensmittel. Schlechtes Temperaturmanagement und fehlende Kontrollen der relativen Feuchtigkeit beeinflussen die Lebensmittel negativ, sodass sie schneller verderben, welken und verwesen. Doch auch die Wahl der Verpackung spielt eine wichtige Rolle bei der Haltbarkeit der Lebensmittel, da sie oft unzureichend Schutz beim Handling, Transport und in der Lagerung bieten. Auch Unstimmigkeiten innerhalb der Lieferkette führen in Entwicklungsländern, wie in Industriestaaten, zu Verlusten von Nahrungsmitteln: Falsch geplante oder mit Lieferanten und Einzelhändlern schlecht kommunizierte Marketingaktionen, Fehler bei Warenbestellungen oder im Umgang mit Lebensmitteln von Logistikdienstleistern während des Transports usw. nehmen einen großen Einfluss auf den Anteil der Verschwendung.

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Food Loss und Waste – dokumentiert von Tristam Stuart (Quelle: Ted Talk)

 

Food Waste

Die Lebensmittelverschwendung grenzt sich mit anderen Kriterien von den Definitionen der Lebensmittelverluste ab. Wird zu stark sortiert und in Güteklassen eingestuft, weil strikte Vorgaben, welche mehr mit dem Aussehen (Farbe, Größe, Form) der Nahrungsmittel zu tun haben als mit Nährwert oder der Qualität beim Essen, spricht die Postharvest Education Foundation von Verschwendung. Liegt der Fokus von Verpackung und Verpackungsmaterialien mehr auf kosmetischen Funktionen anstatt auf Belastbarkeit, Sauberkeit, Belüftung, Feuchtigkeitskontrolle, welche die Haltbarkeit verlängern würden, werden diese Verluste auch der Verschwendung beigemessen. Lebensmittel, die zu lange gekühlt oder eingefroren wurden und somit an Geschmack verlieren, Kälteschäden oder Gefrierbrand erleiden und aus diesem Grund entsorgt werden müssen stellen den 3. Grund der Lebensmittelverschwendung nach der Ernte dar.

 

“Form follows function”oder“function follows form”?

Krumme Gurken, zu großer oder zu kleiner Kohl, dicke Karotten, zu lange oder zu kurze Bohnen – viel Obst und Gemüse landet nie im Supermarktregal und wird noch auf dem Feld aussortiert, weil die Form nicht passt, obwohl die Funktion des Obsts und Gemüses – nämlich nahrhaft und lecker zu sein – keine Mängel aufweist. Auch wenn die EU die Vorgaben zu Größen- und Formstandards vor einiger Zeit massiv gelockert hat, geben nun die Supermärkte diese Standards vor, da sie mittlerweile sämtliche Verpackungsgrößen standardisiert haben. Krumme Gurken oder zu großer Kohl passen eben nicht in genormte Behälter, was dazu führt, dass sie nicht in den Verkauf gehen. Selbst Lebensmittelläden, die solche Lebensmittel verkaufen würden, haben – kaufen sie im Großmarkt ein – nicht einmal Zugriff auf „unschöne“ Exemplare. Diese Art von Obst und Gemüse wird meist nur noch vom Bauern direkt oder auf Marktständen angeboten, doch selbst hier ist mit schwierigen Kunden zu kämpfen, denn zu krummes Gemüse ist schwerer zu schälen und zu schneiden, außerdem ist es nicht so hübsch wie das wohlgeformte. Der Kunde von heute ist Form, Größe und Farbe aus den Supermärkten gewöhnt und sieht andersartige Lebensmittel oft als Lebensmittel minderer Qualität an. Warum soll er also für „schlechtere Lebensmittel“ den gleichen Preis, wie für vermeintlich „bessere“ zahlen?

Wie groß die Verschwendung aufgrund von Form, Farbe und Größe tatsächlich ist, soll am Beispiel der Französischen Bohne aus Kenia dargestellt werden. Es ist aber auch auf nahezu alle Obst- und Gemüsesorten, die in bestimmten Verpackungen transportiert oder verkauft werden, anzuwenden.

Nach dem Ernten kenianischer Bohnen werden die Bohnen vorsortiert, dabei werden 10-20% aufgrund ihrer Größe, Form und Farbe aussortiert – Grund dafür sind die Größenvorgaben europäischer Supermärkte. Danach werden sie im “Pack-House” zurechtgeschnitten, verpackt und für die den Transport per Schiff vorbereitet. Beim Zurechtschneiden der Bohnen auf die vorgegebene Verpackungsgröße gehen noch einmal 15-35 % der Bohnen verloren.

 

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Lebensmittelverschwendung am Beispiel der französischen Bohne in Kenia (Quelle: Ric Francis)

 

Würde man sämtliches Gemüse und Obst zusammennehmen, welches aufgrund von EU-Standards aussortiert/verschwendet wird, könnte man alle armen und hungrigen Menschen in Kenia versorgen. 100% der in Kenia produzierten Französischen Bohnen gehen in den europäischen Markt. Obwohl 30% der kenianischen Kinder unterernährt sind und 10 Millionen Menschen regelmäßig nicht genug Essen auf den Tisch bekommen, werden die Reste nicht an Kenianer verteilt, da die Transport- und Lagerkosten zu hoch sind.

 

 

Der Verschwendungswahn im Einzelhandel

Doch auch die Ware, die es in den Supermarkt schafft, wird noch lange nicht konsumiert. Ob abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdaten, der schlechte Umgang mit den Lebensmitteln aufgrund des Kunden oder vorzeitiges Aussortieren der Belegschaft, um dem Auge höchste Qualität zu bieten – Gründe gibt es für die Verschwendung im Supermarkt viele:

Wer ist schuld am Verschwendungswahn im Einzelhandel? Es ist wohl schwierig, einen eindeutigen Sündenbock auszumachen, viel mehr sollte man sich das System anschauen, dass sich mittlerweile etabliert hat. Ein Bäckermeister (jährlich werden in Deutschland 500.000 Tonnen Brot weggeworfen) wird von so manchem Kunden mit Unverständnis gefragt, warum die Brötchen heute weicher sind als gestern oder warum sich die Konsistenz, verglichen mit dem letzten Mal, verändert hat. Viele Kunden wünschen immer das gleiche Produkt – sie setzen sich nicht mit dem Erzeugen der Lebensmittel auseinander und hinterfragen nicht die Produktion, die ein Nahrungsmittel zu dem machen, was es am Ende ist. Von Supermärkten, die ihre Prozesse, Verpackungen und Transportmittel und -wege aufgrund von Effizienz und Geschwindigkeit und ihrem Bestandsmanagement standardisierten, ist der Kunde immer die gleiche Qualität gewöhnt und verlangt diese nunmehr auch stets, zu jeder Tages- und Jahreszeit. Die Supermärkte haben sich an ihre Kunden angepasst – sie liefern, was verlangt wird. Wenn der Kunde bis kurz vor Ladenschluss Brot kaufen möchte, wird es ihm bereitgestellt. Wenn der Kunde das ganze Jahr Tomaten essen möchte, bekommt er sie und wenn er günstiges Fleisch essen möchte, wird es für ihn produziert.

Aus hygienischen Gründen, und vor allem um sich selbst vor Skandalen, Erpressungsversuchen und vor dem Gesetz zu schützen, begannen Lebensmittelproduzenten und -händler, ihre Produkte mehr und mehr in Plastik einzupacken und die Politik führte das Mindesthaltbarkeitsdatum (MhD) ein, welches meistens unnötigerweise zu früh angesetzt wird, damit das Produkt auf jeden Fall und zu 100% noch genießbar ist. Supermärkte, die sich u.a. an die Wünsche ihrer Kunden anpassen, sortieren früh aus, teilweise bis zu 10 Tage vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums, nur damit der Kunde am Ende keinen Grund zur Beschwerde hat. Dabei ist das MhD verwirrend, gibt es doch nur an, bis wann ein Produkt MINDESTENS und nicht HÖCHSTENS haltbar ist. Mit riechen, schauen, schmecken kann man i.d.R. selbst feststellen, ob ein Produkt noch genießbar ist – aber wer macht das heute noch?!

Und das erwartet euch in Teil 4: Um herauszufinden, wie ein Supermarkt bzw. ein Discounter genau tickt, haben wir den Schichtleiter eines Discounters aus dem Rhein-Main Gebiet interviewt. Auch wenn er meint, dass sich schon allein in den letzten 3 Jahren viel getan hat und heute weniger Lebensmittel verschwendet werden als früher, wird immer noch täglich ca. ein drei Viertel Kubikmeter an Waren entsorgt.

ShoutOutLoud engagiert sich mit dem Programm „Kein Essen für die Tonne“ mit unterschiedlichen Aktionen, mehr Bewusstsein für das Thema in der Bevölkerung zu schaffen. Ihr wollt mehr Infos über unsere Projekte? Dann schaut vorbei: http://shoutoutloud.eu/programme/kein-essen-fuer-die-tonne/ Und wenn ihr selbst aktiv werden wollt, Tipps und Ideen für uns habt oder einfach Feedback geben wollt, schreibt uns: info@shoutoutloud.eu – wir freuen uns auf eure Post.

Posted on 5. Februar 2015 in Kein Essen für die Tonne, Newsletter Leitartikel

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Anna-Mara Schön

About the Author

Initiatorin & Mitgründerin von SOL. 1985 in Hessen geboren, Master in Supply Chain Management, derzeit Promotionsstudentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Fulda im Bereich Humanitäre Logistik am HOLM - House of Logistics and Mobility in Frankfurt. Motivation: Es gibt zu viele Probleme auf der Welt, um wegzuschauen oder sich einfach immer nur darüber zu beschweren. Wenn man mit einer Situation nicht zufrieden ist, muss man aufstehen und sie ändern!
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