Eine Welt zwischen Überfluss und absolutem Mangel – Teil 6

Wie die Lebensmittelverschwendung mit dem Hunger zusammenhängt

Dies ist Teil 6 unserer 6-teiligen Serie zum Thema Lebensmittelverschwendung. Die Serie soll Aufschluss zwischen dem Überkonsum der Industrieländer und dem Leid vieler Menschen in Entwicklungsländern geben. Falls ihr einen vorherigen Teil verpasst habt: Hier könnt ihr Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 5 nachlesen.

Dürfen wir über andere richten?

 

Der letzte Teil dieser Artikelserie beschäftigt sich mit der Frage, ob wir die fatale Umweltpolitik vieler Entwicklungs- und Schwellenländer verurteilen dürfen – obwohl wir, die westliche Welt, genau diesen schonungslosen Umgang mit den Ressourcen unserer Erde erfunden, gelehrt und über Jahrzehnte äußerst erfolgreich praktiziert haben und teilweise noch immer praktizieren.

Ist es uns überhaupt gestattet, über den Umgang mit Ressourcen, welche uns nicht gehören und durch deren Ausbeutung wir profitieren, zu richten? Insbesondere, nachdem wir aufgrund unseres unersättlichen Durstes nach mehr Wohlstand unsere Natur bereits nachhaltig zerstört haben? Gleicht es nicht eher der Verurteilung eines Sünders durch einen Sünder, der selbst nie verurteilt wurde? Oder brauchen wir diesen Wohlstand gar nicht und nehmen selbst die nächste Abfahrt vom „HIGHWAY to HELL“, um nach Jahren der Verschwendung als gutes Vorbild zurück zu weniger Konsum und mehr Nachhaltigkeit zu kommen?

Für diese hochdimensionalen Fragen kann und darf es keine eindimensionalen Antworten geben.

Aus diesem Grund ist nachfolgender Artikel nur als eine zu Papier gebrachte Durchgangsstation von Gedankenspielen auf dem Weg zu einer Antwort für mich selbst. Es soll darauf hingewiesen werden, dass er nur meine eigene Meinung zu diesem Zeitpunkt widerspiegelt.

Lebt man in Deutschland, ist es leicht, die Probleme unserer Welt nicht zu sehen. Wasser, Nahrungsmittel und Konsumgüter gibt es hier in großen Massen. Man kauft was man will, wann man will und zu welchem Preis man will – günstig oder hochpreisig, alles ist dabei.

Produziert wird nur noch selten in Deutschland, vor allem Konsumgüter des Alltags, wie beispielsweise Textilien oder die vielen elektronischen Spielereien aus Fernost. Die Schäden, die diese für den westlichen Markt produzierten Waren bei der Herstellung vor Ort anrichten, werden – wenn überhaupt – nur am Rande registriert und direkt wieder aus unserem Bewusstsein verbannt:

Vergiftete Gewässer und Böden, von Dürren geplagte Felder, ausgetrocknete Seen und Flüsse, hungernde Menschen und Tiere, riesige Müllberge, Smog in Großstädten…

Doch heute haben wir zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte das bisher einmalige Glück, uns über verschiedenste Kanäle und Quellen über praktisch alles informieren zu können. Filmdokumentationen, Bücher, Zeitungen und natürlich das Internet mit seinen zahllosen Foren, sozialen Netzwerken und Video-Portalen stehen uns zur Verfügung, in denen auf die Probleme der Welt aufmerksam gemacht wird. Wenn man seine Augen davor nicht verschließt, zeigen diese uns dann nicht ganz klar auf, was unser Konsumverhalten hierzulande in anderen Ländern und Kontinenten – wie Asien, der verlängerten Werkbank Europas – anrichtet?

Auch das Privileg des Reisens verleiht dem Betrachter einen ganz neuen Blick auf die Welt, sofern er Augen und Ohren offen hält.

Ob Müllberge in Kamerun, gerodete Wälder in Indonesien, Massentierhaltungen in Indien oder verseuchte Flüsse und Böden in China sowie Bangladesch – zahlreiche Beispiele, die sichtbar werden, sobald man beginnt, nach rechts und links zu schauen. Doch dürfen wir uns darüber beklagen, wenn Entwicklungs- und Schwellenländer für ein bisschen mehr Wohlstand schmutzig und nicht nachhaltig produzieren? Dürfen wir verurteilen, wie bspw. China und Indien versuchen, sich selbst aus der eigenen Armut zu manövrieren, indem sie auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit schlecht entlohnter Arbeiter Güter produzieren? Und vor allem, darf man verurteilen, wenn Menschen, die in die Mittelschicht aufsteigen, plötzlich mehr Fleisch essen, mehr Klamotten kaufen, Lebensmittel verschwenden, und Möbel kaufen wollen, obwohl klar ist, dass der vermeintlich einmalige Planet, den wir Erde nennen, einem derartigen Wegwerfkonsum nicht länger gewachsen ist?

Seit einiger Zeit beschäftigen mich diese Fragen intensiv… und lange kam ich zu keiner Antwort. Darf ich mir das Recht herausnehmen, diese Entwicklungen zu verurteilen oder nicht? Schließlich lebe ich in einem Land, in welchem es jedes erdenkliche Gut zu kaufen gibt – vieles auch nur AUFGRUND des umweltschädlichen und menschenverachtenden Umgangs anderer Länder.

Nach langem Überlegen komme ich nun erstmals zu einem ersten Ergebnis….

Meine Antwort auf diese Fragen sind: Ja, unter der Voraussetzung, dass wir endlich ECHTE Verantwortung übernehmen – für unser eigenes Verhalten und dafür, dass es andere Menschen in Zukunft auch können! Wir sollten uns genau überlegen, was wir konsumieren, was dahinter steckt, welchen Einfluss unser Kaufverhalten auf andere Menschen sowie unseren Planeten hat, und ob wir mit den Konsequenzen leben können und wollen. Natürlich ist unsere Welt viel zu komplex und geheimnisvoll, um immer die Antwort zu kennen, und natürlich können wir nie alle Lieferketten nachvollziehen bzw. werden von externen Aussagen fehlgeleitet und in die Irre geführt. Meiner Meinung nach sollten wir uns aber nicht hinter unserer Unwissenheit verstecken – gerade weil wir Zugriff auf so viel Wissen haben. Es sollte unsere Pflicht sein, nachzudenken und so viel in Erfahrung zu bringen, wie wir können.

Unser Konsumverhalten sollte reflektiert sein – nur dann können wir wirklich vernünftige Entscheidungen treffen. Entscheidet man sich dann für den Ge- und Verbrauch bestimmter Dinge – angesichts mangelnder Alternativen oder weil die Alternativen nicht zum eigenen Leben passen, sollte auch das ok sein, sofern man mit den möglichen Konsequenzen leben kann.

Jeder Mensch, der die Möglichkeit hat, auf Wissen und Erfahrungen anderer zugreifen zu können, hat – meines Erachtens – die Pflicht, dies zu tun. Denn dadurch kann man über sein Verhalten und seinen ökologischen Fußabdruck nachdenken, reflektieren und dementsprechend handeln. Was steht persönlich höher im Kurs: Der eigene Profit, die eigene Bequemlichkeit oder der Erhalt der Erde für folgende Generationen – gleich ob für Mensch, Tier oder Pflanze?

Menschen, die nicht den Zugriff auf Wissen haben wie wir, sollten ihn bekommen, damit sie selbständig ihre Entscheidungen treffen können. Aus diesem Grund ist für mich Bildung das höchste Gut, welches dringend weiter verbreitet werden muss. Selbst in Deutschland sollte das Bildungssystem in einigen Aspekten neu ausgerichtet werden, um noch mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen und Lösungen für die kommenden sozialen und ökonomischen Probleme zu finden.

Jeder von uns kann seinen Teil dazu beitragen: Sich so viel Wissen aneignen, wie möglich, um hoffentlich gute Entscheidungen bzgl. seines eigenen (Konsum-)Verhaltens zu treffen und helfen, dieses Wissen sowie Bildung im Allgemeinen zu verbreiten.

Wangari Maathai, Gründerin der Graswurzelbewegung („The Green Belt Movement“) und Friedensnobelpreisträgerin, hat dazu eine Geschichte über einen Kolibri erzählt, der mit seinem Schnabel versuchte, einen großen Waldbrand zu löschen. Als ihn die größeren Tiere fragten, warum er das tue, könne er doch niemals das Feuer löschen, war seine Antwort: „I am doing the best, I can“ (ich tue das Beste, was ich kann). Natürlich kann kein Einzelner von uns das große Feuer löschen, welches auf unserer Welt lodert. Doch wenn sich jeder anstrengt und sein Bestes gibt, sein eigenes Verhalten reflektiert und überlegt, was man wirklich braucht und was nicht, können wir den nachkommenden Generationen vielleicht doch noch eine halbwegs gesunde Welt hinterlassen. Dies wird aber nur funktionieren, wenn alle mitmachen.

(s. Youtube-Video: I will be a humming bird)

Posted on 9. Mai 2015 in Kein Essen für die Tonne

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Anna-Mara Schön

About the Author

Initiatorin & Mitgründerin von SOL. 1985 in Hessen geboren, Master in Supply Chain Management, derzeit Promotionsstudentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Fulda im Bereich Humanitäre Logistik am HOLM - House of Logistics and Mobility in Frankfurt. Motivation: Es gibt zu viele Probleme auf der Welt, um wegzuschauen oder sich einfach immer nur darüber zu beschweren. Wenn man mit einer Situation nicht zufrieden ist, muss man aufstehen und sie ändern!
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